THE SUM OF ALL FEARS - PROLOG
Toronto, Ontario, Kanada11:59 Uhr
Die Mad Queen Lara Lee steht mit dem roten Catsuit und schwarzem, wehendem Umhang und schwarze Krone, mit dem Rücken zur Kamera zugewandt. Offensichtlich steht sie irgendwo auf einem großen Gebäude; der blaue Himmel ergänzt perfekt das malerische Stadtbild von Toronto, natürlich mit markanten CN Tower im Zentrum.
Die gebürtige Kanadierin dreht sich um und zeigt ein überlegenes Lächeln in die Kamera.
Lara: „Hey, was ist denn los, Mädchen?“
Fragt sie mit diesmal etwas besorgtem Gesicht zu jemanden hinter der Kamera. Wie auf Stichwort hin dreht die Kamera um 180 Grad und enthüllt ein junges Mädchen, ein richtiger Teenager, das traurig auf einer Kante vor dem Abgrund steht. Ihre langen blonden Haare wehen sanft im Wind. Sie trägt eine bunte Mischung aus Teenager-Klamotten mit verschiedenen Logos und Stickers, als hätte sie alles einfach zusammengewürfelt.
Lara: „Ähem, Kleines, tritt doch bitte von der Kante zurück. Nur ein Schritt, okay? Ich will nur mit dir reden.“
Das Mädchen schaut über die Schulter zu ihr hinüber, dann schüttelt sie leicht den Kopf und richtet den Blick wieder hinab vor sich. Lara seufzt und macht ein Schritt nach dem anderen, bis sie nur noch ein halbes Meter vor ihr entfernt ist.
Lara: „Come on, so schlimm ist es doch nicht… bei dem, was du auch immer gerade hast.“
Mädchen: „Die Welt ist einfach nur unfair…“
Flüstert sie leise und Lara unterbricht die Bewegung eines ausstreckenden Arms. Das Mädchen wirft einen warnenden Blick zu ihr hinüber.
Mädchen: „Wenn du mich anfasst, springe ich.“
Es klang nicht nach einer Drohung, sondern eher nach einer lapidaren Feststellung. Lara senkt den Arm und seufzt abermals, dann räuspert sie hörbar.
Lara: „Naja, ich weiß, die Welt ist unfair. Manchmal ist sie einfach nur Scheiße, okay? Aber gleich deswegen springen? Sag‘ mal… wo sind deine Eltern? Mama?“
Mädchen: „Im Unfall umgekommen.“
Lara: „Oh. Papa?“
Mädchen: „Hat sich erschossen.“
Lara: „Urgh, und Geschwister?“
Mädchen: „Schwester. Redet seit Jahren nicht mit mir. Bruder. Geisteskrank.“
Lara: „Boah, das ist wirklich Mist. Ist mir Gleiche passiert. Da würde ich auch springen wollen…“
Das Mädchen schaut sie lange und etwas irritiert an.
Mädchen: „Und warum springst du dann nicht?“
Lara: „Tjo… gute Frage?! Aber du musst ja nicht alles nachmachen, Kleines.“
Die Muscle Chick kichert nervös, dann nickt sie beruhigend zu ihr.
Lara: „Darf.. darf ich mich dir zur Seite stellen?“
Das Mädchen sagt nichts, aber Lara wertet dies als Einverständnis und tritt etwas unsicher auf die Kante herauf und steht nun direkt neben die jüngere Frau.
Lara: „Ja… da sieht die Welt irgendwie anders aus, wenn man da oben vor einem Abgrund steht, das stimmt schon.“
Mädchen: „Hä, was? Wie meinst du jetzt?“
Lara: „Naja, Kleines, wenn man nie den Abgrund gesehen hat, weiß man nämlich gar nicht wie die ganze Welt wirklich aussieht. Man sieht ja nur die Kante und nicht, was dahinter und vor allem darunter ist.“
Auf einmal verwandelt ihr Gesicht in ein breit grinsendes, absolut arrogantes. Das Mädchen schaut jetzt mit Schock und Überraschung zu ihrer Seite hinüber.
Lara: „Denn erst jetzt weiß man nämlich, was so alles im Abgrund lauert.“
Sie blickt demonstrativ nach unten und das Mädchen folgt ihr Blick nach unten…
… und sieht ein Meer aus blutigen, zerhäckselten Leichen, die sanft wie Meereswellen auf und ab wiegen. Direkt darunter, wo Lara und das Mädchen stehen, steht eine nackte, völlig von Blut verdeckte Angelina Satanii inmitten der Leichen, die eine Hand zwischen den Beinen gesteckt hat und dabei lustvoll aufstöhnt. In der anderen Hand hält sie dabei ein abgetrennter Kopf von Nubia Skye, wobei sie mit obszön langer Zunge in die leeren Augenhöhlen lutscht, wenn sie nicht gerade mit sich selbst beschäftigt…
Lara: „Die fucking Hölle, Kleines. Das ist das, was du gerade entgegenblickst. Ein Ozean voller Leichen ohne Seelen, die nur darauf warten, dich zu konsumieren. Bis in aller verdammten Ewigkeit. Das ewige Verdamnis erwartet dich, Mädchen.“
Das Mädchen steht mit offenem Mund, unfähig etwas zu sagen, da und kann den Blick von Angelina nicht abwenden.
Lara: „Wenn du springst, fällst du erst einmal. Und zwar viel zu lange als es dir lieb ist. Und selbst wenn du da unten ankommst… ist es noch nicht alles vorbei. Du wirst Freunde sehen… aber nicht wie du sehen wolltest.“
Sie deutet auf einen Torso ohne Beine und Arme, aber mit Kopf. Der Kopf eines Barry Wilson. Der sein blutiger Mund zu einem lautlosen Schrei geöffnet hat. Das Mädchen kann den Anblick nicht mehr ertragen und schließt die Augen, wobei Tränen die Wangen herunterkullern. Lara schaut sie wortlos an, dann schnaubt sie mit gewisser Verachtung.
Lara: „Also spring ruhig, Mädchen.“
Mädchen: „Ich will aber nicht springen…“
Lara: „Du willst es jetzt auf einmal nicht? Bist du jetzt so sprunghaft und kannst keine Entscheidungen fassen? Meine Güte. Du sollst aber springen, das wolltest du doch. Also sage ich: Jetzt spring schon.“
Mit weit aufgerissenen Augen starrt die kleinere Frau die größere an, die nur ein blasiertes Lächeln zeigt.
Mädchen: „Ich will aber nicht springen! Ich will nicht mehr…!“
Lara: „Halt deine beschissene Fresse und spring. Das war keine Bitte. Also spring endlich.“
Schluchzend schüttelt sie mit dem Kopf mit einer Heftigkeit. Genervt stöhnt Lara auf und wirft ein tadelnder Blick auf sie und dann kurz auf den Abgrund.
Lara: „Spring.“
Mädchen: „Nein. Nein!“
Schreit sie diesmal wütend zurück und starrt Lara an, die nur seufzt und schließlich die Achseln zuckt, offensichtlich den Vorhaben aufgebend. Sie legt beruhigend eine Hand auf der zarten Schulter des Mädchens.
Lara: „Na schön, wenn du halt nicht springen willst, Lara…“
Die kleine Lara will schon erleichtert aufatmen, als die Mad Queen auf einmal ihr einen kräftigen Schubs gibt! Kreischend kippt sie von der Kante und fällt in den Abgrund!
Heh. Na, den IPW Championship werde ich wohl mit Leichtigkeit gewinnen...
Zurück bleibt nur eine höhnisch lachende Mad Queen…
Toronto, Ontario, Kanada
23:59 Uhr
Lara Lee wacht erschrocken aus dem Bett in ihrer kleinen Wohnung auf und vergewissert sich mit einem raschen Rundumblick, dass sie sich nach wie vor in gewohnter Umgebung befindet. Sie fasst sich an die Stirn und spürt sofort den Schweiß, der in rauen Mengen vorhanden ist.
Lara: „Was für ein fucking Traum…“
Sie versucht erst einmal, langsam und ruhig zu atmen, während ihre Gedanken rasend und ziellos umherrasen. Dann richten sich ihre Augen auf ihr Handy, welches auf dem Nachtisch liegt. Starrt es an… und starrt es wieder an. Schließlich schüttelt sie den Kopf und schließt die Augen.
Lara: „So kann es nicht weitergehen, sonst verliere ich wirklich noch den Verstand. Nur wegen den scheiß IPW Championship Match…“
Nachdem sie einmal kräftig durchgeatmet hat, schnappt sie sich das Mobilgerät und scrollt zögernd durch die Kontaktliste.
Ich habe keine Freunde… Barry Wilson? Nein, lieber nicht, ich habe ihn als Gegner… Meine Schwester Lisa? Ich weiß nicht… mein Bruder Sean? Nein, der will ganz bestimmt nichts mehr von geistige Probleme hören…fuck…
Ihre rechte Hand legt sich auf die Stirn und fängt an diese zu massieren.
Vielleicht… vielleicht muss ich die Wurzel des Übels anpacken? Vielleicht muss ich für ein alles letzte Mal in die Vergangenheit zurückgehen? Und zwar weit in die Vergangenheit… bevor es alles angefangen hat?
Sie sucht nach einem Namen in der Liste.
Wo ist denn D. Deripex, mein ehemaliger Trainer und Mentor? Ach Quatsch, ich speichere ja unter echte Namen ab… also… Malcolm Lennox…. hier bist du!
Ihr Finger berührt schon fast den Telefon-Symbol, als sie plötzlich innehält.
Es ist Mitternacht… und in L.A. geht…drei Stunden früher? Da ist er garantiert noch wach.
Das Handy piept beim Einwählen… Lara starrt nervös ihr eigene nackte Füße an…
„Yeah?“
Fortsetzung folgt…